KI_AI_Menschlichkeit

Technologie, KI und Menschlichkeit: Warum wir in einer vernetzten Welt dennoch vereinsamen

Inhalt

Ein psychologisch fundierter Blick auf eine zutiefst menschliche Krise

Wir leben in einer Ära, in der Technologie uns scheinbar alles erleichtert: Kommunikation, Arbeit, Lernen, sogar das Denken. Künstliche Intelligenz beantwortet Fragen in Sekundenschnelle, automatisierte Systeme optimieren Prozesse, Smart Homes nehmen uns Tätigkeiten ab, und soziale Medien suggerieren Nähe – doch gleichzeitig fühlt sich eine wachsende Zahl von Menschen leer, orientierungslos, einsam. Wie kann das sein?

Zwischenmenschliche Beziehungen: Psychologische Grundlage unsres Lebens

Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen. Psychologisch betrachtet, ist die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ein fundamentales menschliches Bedürfnis. Der Psychologe Abraham Maslow stellte in seiner berühmten Bedürfnispyramide (1943) die sozialen Bedürfnisse – Freundschaft, Intimität, Familie – direkt nach den physiologischen und Sicherheitsbedürfnissen. Auch John Bowlby, der Begründer der Bindungstheorie, betonte, wie zentral stabile Beziehungen für das emotionale Gleichgewicht sind.

Vertrauen, Liebe, Nähe – diese Elemente sind keine Extras, sondern Grundpfeiler psychischer Gesundheit.

Der moderne Mensch aber lebt zunehmend in technisierten Systemen, die genau diese Grundlagen gefährden.

Optimierung statt Beziehung: Wenn der Mensch zur Maschine wird

Unsere Gesellschaft strebt nach Effizienz, Rationalisierung, Vereinfachung. Arbeitsprozesse werden automatisiert, Kommunikation wird digitalisiert, menschlicher Kontakt wird zunehmend durch Bildschirminteraktionen ersetzt. In vielen Unternehmen wird weniger miteinander gesprochen und mehr „kommuniziert“ – über Ticketsysteme, E-Mails oder Tools wie Slack, Teams. Emotionale Zwischentöne gehen verloren.

Das Ziel scheint klar: Der Mensch soll möglichst wenig tun müssen, der Alltag soll „reibungslos“ laufen. Aber diese Reibungslosigkeit ist eine Illusion – und sie ist gefährlich. Denn: Der Mensch braucht Reibung. Er braucht Kontakt. Er braucht Bedeutung.

Einsamkeit im Zeitalter der totalen Vernetzung

Trotz oder gerade wegen ständiger digitaler Erreichbarkeit wächst die Einsamkeit. Studien belegen, dass Einsamkeit heute ein massives gesellschaftliches Problem ist. Die britische Regierung hat bereits ein eigenes „Ministry of Loneliness“ eingerichtet. Eine Metaanalyse von Julianne Holt-Lunstad (2015) zeigt: Einsamkeit erhöht das Sterblichkeitsrisiko so stark wie das Rauchen von 15 Zigaretten am Tag.

Doch Einsamkeit trifft nicht nur die Alten. Besonders Jugendliche und junge Erwachsene leiden zunehmend unter einem Gefühl der Sinnleere, der sozialen Isolation – trotz tausender „Freunde“ auf Instagram oder TikTok.

Der Arbeitsplatz als soziales Gefüge – und sein Verlust

Früher war der Mensch von früh bis spät beschäftigt. Arbeit strukturierte den Tag, gab Identität, Sinn und sozialen Kontakt. Heute werden Prozesse ausgelagert, Homeoffice ersetzt das Büro, viele Jobs werden zunehmend von Maschinen übernommen. Der Kontakt zu Kolleg:innen fällt weg, und für viele Menschen bricht damit ihr soziales Netz zusammen.

Wenn der Arbeitsplatz der einzige Ort für zwischenmenschlichen Austausch war, bedeutet seine Entfremdung oft auch eine existenzielle Entwurzelung.

Der Mensch will gebraucht werden – Frankls Logotherapie

Der Wiener Psychiater und Holocaust-Überlebende Viktor E. Frankl formulierte es treffend:

„Der Mensch ist nicht auf der Suche nach einem Zustand des Glücks, sondern nach einem Sinn, den er in seinem Leben zu erfüllen hat.“

Frankls Konzept der Logotherapie basiert auf der Annahme, dass Sinnerleben das wichtigste Motiv des Menschen ist. Menschen, die keinen Sinn (mehr) in ihrem Leben sehen, erleben Leere, Depression, Resignation – und das zunehmend auch in unserer durchtechnisierten Gesellschaft.

Wenn alte Menschen in Pflegeheimen sitzen, allein, unbeachtet, dokumentiert, aber nicht berührt – dann fehlt Sinn. Dann wird nicht der Mensch gesehen, sondern ein Pflegefall, eine Zahl, ein Datensatz.

Technologie ersetzt keinen Blick, kein Lächeln, kein Gespräch

Im Gesundheitswesen etwa erleben wir diese Entmenschlichung drastisch. Pfleger:innen sind gezwungen, Zeit mit Dokumentation zu verbringen, statt mit Zuwendung. Wenn die Überwachung der Vitalwerte zur Hauptsache wird und für ein echtes „Wie geht es Ihnen heute?“ keine Zeit mehr bleibt, kippt das Gleichgewicht. Pflegekräfte wollen pflegen, nicht nur protokollieren – doch das System zwingt sie zur Technik. Und die alten Menschen, Patienten? Sie sehnen sich nach einem Gespräch, nach Bedeutung, nach Dasein.

Warum Beziehungen überleben müssen

Wir leben in einer Gesellschaft, die Innovation liebt – aber den Menschen vergisst. Die jeden Lebensbereich zu analysieren versucht – aber Gefühle nicht in Excel-Tabellen pressen kann. Die uns suggeriert, dass wir alleine besser und effizienter sind – aber dabei verkennt, dass kein Mensch langfristig allein überleben kann.

Zwischenmenschliche Beziehungen sind kein romantisches Ideal. Sie sind psychologische Notwendigkeit. Nur in Beziehung erfahren wir:

  • Wert („Ich bin wichtig für jemanden.“)
  • Sinn („Ich werde gebraucht.“)
  • Verbindung („Ich bin nicht allein.“)
  • Identität („Ich bin, weil du mich siehst.“)

Was wir wieder lernen müssen

  1. Technologie muss dem Menschen dienen, nicht umgekehrt.
    KI kann unterstützen – aber sie darf den Menschen nicht ersetzen.
  2. Beziehungen brauchen Zeit und Aufmerksamkeit.
    Ein Gespräch von 10 Minuten ist wertvoller als 100 Likes.
  3. Sinn entsteht im Miteinander.
    Wer gebraucht wird, lebt gesünder, länger – und glücklicher.
  4. Wir dürfen nicht alles optimieren.
    Das Streben nach Perfektion vernichtet das Menschliche. Fehler, Zufall, Nähe – das ist Leben.

Nähe ist nicht programmierbar

Wir dürfen den Menschen nicht der Maschine opfern. Nicht in der Pflege, nicht in der Bildung, nicht in der Arbeit, nicht im Privaten. Wir brauchen Technologie – ja. Aber mehr noch brauchen wir einander.

Wenn wir den Menschen im Zentrum behalten, wenn wir wieder verstehen, dass das Leben nur im Miteinander Sinn ergibt, dann hat auch Künstliche Intelligenz einen Platz – aber nicht auf Kosten unserer Seele.

„Der Mensch ist das Wesen, das immer entscheidet, was es ist.“ – Viktor Frankl

Entscheiden wir uns für Verbindung. Für Nähe. Für Sinn. Für Menschlichkeit.


Quellen & Literatur:

  • Frankl, V. E. (1946). …trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager.
  • Maslow, A. H. (1943). A Theory of Human Motivation. Psychological Review.
  • Holt-Lunstad, J., Smith, T. B., & Layton, J. B. (2015). Loneliness and Social Isolation as Risk Factors for Mortality: A Meta-Analytic Review. Perspectives on Psychological Science.
  • Bowlby, J. (1969). Attachment and Loss. Basic Books.

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Mag. Daniela Weger
Dipl. Sozial- & Lebensberaterin

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